Das besondere an WoW war für mich stets das Zusammenspielen mit anderen real existierenden Personen. Dies erfolgte allerdings nur via Internet, klassische LAN-Partys bekam ich eher im Ego-Shooter-Bereich mit. Dabei konnte ich mir WoW auch im direkten Miteinander gut vorstellen. In meiner alten Gilde gab es denn auch tatsächlich einige Paare und sogar komplette Familien, die gleichzeitig online zockten. Ich hockte leider stets allein vor dem PC – bis gestern.
Aufgrund der gestiegenen Anforderungen im Gymnasium (Stichwort G8) ist der Dienstag abend nun ein Lernabend mit meiner ältesten Tochter. Ein Anreiz zum Pauken der ungeliebten Materie Mathematik schien vorteilhaft, wer mag schon Quests ohne Belohnung? 😉 Da sie mir letztes Jahr schon öfter über die Schulter geschaut hat, wenn ich in WoW unterwegs war und völlig begeistert war, bot ich ihr an, nach Lernen und Abendessen regelmäßig ein Stündchen gemeinsam zu questen. Sie war begeistert.
Dazu mussten die nötigen Anforderungen geschaffen werden. Neben dem Spiele-PC war auch der Arbeits-PC mit einem Athlon 2800, 2 GB RAM und 64 MB Grafikkarte fit genug und brauchte nicht aufgerüstet werden. Lediglich alle sonstigen Standardprozesse wie eMail wurden beendet. Die Leitung bietet mit 2 MB Down- und zusätzlich gebuchtem, kostenfreiem „1&1 Upstream 384“ genügend Kapazitäten. Blieb also nur World of Warcraft selbst.
Die Nutzungsbedingungen sehen vor, dass man für jeden Account ein eigenes, neues Spiel kaufen muss. Gebrauchte Ware ist scheinbar wertlos. Also WoW ein zweites Mal kaufen. Glücklicherweise fand der Computer-Händler meines Vertrauens die Battlechest-Version: Basis-Spiel und Burning Crusade Add-On für rund 33 Euro. Enthalten waren zwei DVD’s (endlich kein Jonglieren mehr mit 5 CD-ROM’s plus Add-On), das klassische Spielehandbuch sowie zwei Guides mit fast 400 Seiten. Genial.
Fehlte noch der Account, der leider wieder mit 13 Euro pro Monat zu Buche schlägt. Interessant am Rande, dass ich all die Fragen zur Familiennutzung im Forum von WoW Europe angesprochen hatte. Dabei hatte ich auch erwähnt, dass meine Tochter pro Monat nur auf zehn bis höchstens 20 Spielstunden kommen würde, meine Frau aber auch gern mal testen würde. Ob das im Account meiner Tochter mit einem Char ginge? Ich rechne nicht damit, dass sie das Spielfieber packt, aber – falls doch – ob ein Chartransfer in einen anderen Account möglich sei? Ein User antwortete mir, dass Blizzard das Teilen eines Accounts nicht vorsehen würde, aber es rein technisch durchaus möglich sei. Wenige Tage später war dieses Posting nicht mehr aufzufinden, scheint also von Blizzard gelöscht worden zu sein. Möglicherweise stehe ich jetzt unter Beobachtung, schreibe hier aber trotzdem offen weiter 😉
Die Installation und das Anlegen des neuen Accounts lief während des einstündigen Lernens und des anschließenden Abendessens nebenbei durch. Beim Abendessen besprachen wir die neuen Charaktere. Meine Tochter entschied sich für eine Magierin, ich für eine Priesterin. Okay, zwei Stoffies, kein Nahkämpfer, aber zusammen sollten wir keine Probleme bekommen *g* Sie macht Schaden, ich heile. Einfaches Konzept.
Und diesmal sollte es Horde sein. Am besten gleich eine neue Rasse, Blutelfen. Und ein neuer Realm, Nozdormu, auf dem sich mit suddendeath bereits ein Level 70 Mage in der Gilde Nachtschatten (nicht im Untotenschutzverein, wie zuerst geschrieben) befindet, mit dem ich in Reallife befreundet bin. Im Juni 2006 war Nozdormu noch überfüllt. Diesmal war Platz, Blizzard scheint die Kapazitäten erweitert zu haben.
Das Anlegen des Chars machte meiner Tochter besonders Spaß: Gesicht, Kleidung, Frisur – das Mädel klickte sich gleich alles passend zusammen. So entstand der Char Elanora. Im Doppelpack mit meiner umwerfenden Priesterin Nimeth werden wir jedes Monster mit einem Augenblinzeln verzaubern, das steht jetzt schon fest.
Danach noch eine Stunde gemeinsames Questen. Dabei war klar, dass Elanora erst einmal das Bewegen in dieser virtuellen Welt lernen musste. Vor allem das genau entgegengesetzte Bewegen von Maus und Char machte ihr Schwierigkeiten. Unsere kleine Magierin zog sich eine Menge blauer Flecken zu, als sie ständig gegen Hauswände und Zäune rannte 🙂 Mir ging es damals anfangs nicht viel besser, zumal neben mir keiner saß, der mir etwas erklären konnte. Allerdings war ich das gleichzeitige Hantieren mit Tastatur und Maus nicht nur vom Programmieren, sondern auch von Diablo II und Unreal Tournament gewohnt – Löwenzahn, Findus bei den Mucklas oder Post für Ritter Rost boten hier eine nicht ganz so intensive Schulung *g*. So musste ich mich in Geduld üben; auch nicht leicht, aber ebenfalls förderlich für das gemeinsame Mathe lernen.
Als alter Medienpädagoge hatte ich mir natürlich im Vorfeld einige Gedanken gemacht. Ich war sicher, dass das Konzept des Teamplayings (Papa und Tochter spielen gemeinsam) sehr wertvoll ist. Auch den spielerischen Umgang mit Drucksituationen stufte ich als hilfreich ein im aktuellen Kontext: Wenn die arme Priesterin plötzlich einen der beiden attaktierten Mobs auf sich hängen hat und um Hilfe schreit, ist dies ein gutes Training für die angehende mächtige Magierin.
Zwei Bereiche bereiteten mir ein wenig Kopfzerbrechen. Zum einen der Kontext „Rollenspiel und Individuation“. Ist das Kind in der Lage, zwischen realer Persönlichkeit und Rolle klar zu trennen? Angesichts der Spiele mit Barbie-Puppen und der Theater AG, in der meine Tochter in den Sommerferien mitgemischt hat, fiel die Antwort mit „Ja“ aus, auch bei meiner Frau. Ich sah sogar Chancen, dass meine Tochter in der Rolle Anteile ihrer Persönlichkeit spielerisch ausleben kann, die im realen Leben zu wenig Raum bekommt.
Letzteres betrifft vor allem den Bereich Gewalt und Aggression; aufgrund der aktuellen Diskussionen ein sensibler Bereich. Von Ego-Shootern hebt sich WoW diesbezüglich glücklicherweise aufgrund der comic-haften Gestaltung klar ab. Menschenähnliche Gegner sind eher seltener, PvP steht für uns nicht an. Allerdings ist hinsichtlich letzterem die Duellfunktion sehr interessant – wenn Tochter sich direkt mit Papa messen kann und gleichzeitig die Trennung zwischen realer Person und Char deutlich hervor tritt.
Es zeigte sich gestern Abend, dass die Möglichkeit rein virtueller, harmlos visualisierter Gewalthandlungen im aktuellen Lebenskontext sogar von Vorteil sein können. Das Verprügeln einer Reihe von virtueller Raubkatzen machte meiner Tochter richtig Spaß. Endlich eine Möglichkeit, sich diesbezüglich ausleben. Dazu Raum für Fantasie und Action in einem Leben, das zunehmend vom Reglement der Schule und eingeengten Plätzen bestimmt ist. Und heute morgen hatten wir beim ausgeschlafenen Spaziergang zur Schule lebendige Gesprächsthemen. Insgesamt also ein positives Fazit beim Erstversuch.
Nun werden Elanora (Elanor = elbisch für Sternsonne) und Nimeth (elbisch für blass im Sinne von weiß) nun also gemeinsam ihre Runden ziehen und Abenteuer erleben. Ein bis drei Mal die Woche für jeweils 60 bis 90 Minuten. „Betreutes Gamen“ wie ich es bislang im umgekehrten Fall Eltern empfohlen habe, die ihre Schößlinge vor dem PC allein zu lassen pflegen.
Ein schöner Artikel Frank. Eltern und Kinder gemeinsam in der Vituellen Welt von Azeroth anzutreffen ist ja keine Einzelerscheinung, sondern hat inzwischen durch die sehr populäre Nutzung von WoW einen normal Status erreicht, über den sich Spieler nicht mehr wundern. Man findet sowieso alle Altersgruppen in WoW miteinander spielend. Interessant ist der Lerneffekt beim spielen. Der Umgang mit der gegebenen Welt und den anderen Spielern. Die unterschiedlichen Skills, die man als Spieler entwickelt, schulen kognitive, soziale, etc. Fähigkeiten. Und obwohl es ein virtuelles Computerspiel ist, repräsentiert es etwas reales – faszinierend…
Computer sind eben zum spielen und lernen da 🙂
P.S.: Meine Gilde heißt Nachtschatten. Ich war nie beim Untotenschutzverein.
Ein sehr schön geschriebener Artikel. Das was Du Dir da vorgenommen hast und wie Du es umsetzen möchtest klingt für mich sehr gut. Klingt für mich nach einer optimalen Lösung: gemeinsames Spielen (gibt doch sicherlich nichts schöneres wenn man die Zeit vor der Kiste nicht alleine verbringt) und das eigene Kind behutsam an das Thema MMORPG ranführen. Dann hoffen wir mal das Ihr jede Menge gemeinsamen Spaß habt und Du auch die vorgegebenen Spielzeiten einhalten kannst.
Toller Beitrag. Meine ältere Tochter möchte auch sehr gerne WoW spielen, über die Schulter schauen uns beide beim Spielen eh schon.
Zum Thema Accounts:
Du hast ja ein WoW für deine Tochter gekauft. Lass deine Frau einfach mit einem Char auf dem Account spielen.
Wenn Sie dann doch irgendwann komplett eigenständig spielen möchte,
dann kannst du ein 3. WoW kaufen und einen kostenpflichtigen Char-Transfer durchführen.
Dieser Char-Transfer geht nähmlich nicht nur zwischen Servern, sondern auch zwischen Accounts.
Einzige Bedingung: Der Besitzer des Accounts muss mit den gleichen Daten registriert sein. Das ist der Trick dabei!
[…] gute Weile ist es her, dass ich über World of Warcraft als Familienspiel geschrieben habe. Seitdem spiele ich mit meiner Priesterin Nimeth zusammen mit meiner Tochter und […]